Der Arbeiter Samariter Bund (ASB) muss Ende Juni den ambulanten Pflegedienst am Westpark in München einstellen. Der Grund: Der eklatante Fachkräftemangel bei den Pflegekräften. Sie wandern an private Dienstleister ab, weil sie besser bezahlen. Der ASB, hat das Nachsehen, weil die Gehaltstruktur der Tarife im öffentlichen Dienst da nicht mithalten kann.
Der ASB München wird zum 30. Juni 2021 den Ambulanten Pflegedienst am Standort München-Westpark einstellen. Dies wurde nach schwierigen und langen Diskussionen auf der letzten Vorstandssitzung beschlossen. „In unserem 100. Geburtstagsjahr trifft uns diese Entscheidung besonders hart“, sagt Christian Boenisch, Geschäftsführer des ASB München/Oberbayern, „jedoch führt der eklatante Fachkräftemangel immer häufiger dazu, dass es Trägern von Ambulanten Pflegediensten nicht gelingt, die Positionen von Pflegefachkräften adäquat zu besetzen. Für das verbleibende Pflegeteam stellt dies eine extreme Belastung dar.“
Der ASB hat einen Anerkennungsvertrag zum TVöD abgeschlossen. Jedoch reicht die dort festgelegte Entlohnung für Pflegefachkräfte nicht aus, um im Wettbewerb mit privaten Pflegedienstleistern bestehen zu können. „In den letzten Monaten bestand immer mehr die Sorge, dass wir aufgrund des Personalmangels die Qualität unserer Leistungen für die Seniorinnen und Senioren in der Ambulanten Pflege nicht mehr gewährleisten können“, erklärt Boenisch.
Der ASB wird nun schnellstmöglich versuchen, die Betreuung seiner pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren an andere gemeinnützige Pflegeeinrichtungen zu übergeben. Die Gespräche hierfür laufen bereits. Allen betroffenen Kolleginnen und Kollegen wird ein anderer Arbeitsplatz in der Pflege angeboten. Hierfür kommt insbesondere das gemeinsam mit der GEWOFAG betriebene innovative Wohnprojekt „Wohnen im Viertel“ in Frage, das der ASB an drei Standorten im Münchner Osten betreibt.
„Als Wohlfahrtsverband und Hilfsorganisation sehen wir auch weiterhin unseren Auftrag darin, für die Menschen und gerade auch für die SeniorInnen in München und Oberbayern da zu sein und ihre Anliegen und Bedürfnisse ernst zu nehmen. Daher werden wir weitere innovative Konzepte und Betreuungsmöglichkeiten für SeniorInnen prüfen und möglicherweise umsetzen und uns dieser großen gesellschaftlichen Herausforderung stellen“, ergänzt Boenisch.
Mit der Aktion „Rote Karte“ hat am Internationalen Tag der Pflegenden am 12. Mai die Gewerkschaft Verdi auf die Missstände in den Pflegeberufen hingewiesen. Vor dem Sozialzentrum in Giesing haben am Mittag die Beschäftigten der Arbeiterwohlfahrt München (AWO) protestiert.
»Es müssen dringend die richtigen Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen in der Pandemie für das Gesundheitswesen gezogen werden. Die bisherigen Beschlüsse sind völlig unzureichend, von Entlastung ist im Betrieb nichts zu spüren – im Gegenteil«, sagte Gewerkschaftssekretär Tony Guerra von Verdi. Bei den Aktionen zeigen Beschäftigte der Gesundheitspolitik deshalb die »Rote Karte«.
»Die Beschäftigten in den Krankenhäusern sind erschöpft. Sie arbeiten seit Monaten am Anschlag, um die Menschen in der Pandemie bestmöglich zu versorgen. Auch in der Altenpflege ist die Lage angesichts der Personalnot weiterhin extrem angespannt«, betont Dierk Assmuth, Betriebsrat bei der AWO München. »Die beruflich Pflegenden brauchen jetzt das Signal, dass sich die Bedingungen schnellstmöglich und dauerhaft verbessern. Doch der Bundesgesundheitsminister spielt weiter auf Zeit.« So habe Jens Spahn (CDU) zuletzt zwar etliche Gesetzesinitiativen vorgelegt, an den entscheidenden Stellen blieben diese jedoch weit hinter dem Notwendigen zurück. Weder in der Kranken- noch in der Altenpflege würden bedarfsgerechte und bundesweit einheitliche Personalvorgaben schnell auf den Weg gebracht.
»Damit der von Spahn vorgelegte Entwurf zur tariflichen Bezahlung in der Altenpflege nicht nur gut klingt, sondern tatsächlich das Problem löst, muss erheblich nachgebessert werden«, sagte Gewerkschaftssekretär Christian Reischl. Der Minister erwecke zwar den Eindruck, er wolle eine tarifliche Bezahlung in der Altenpflege sichern. Das sei aber nicht der Fall. Denn nicht die Einhaltung relevanter Branchentarifverträge wie des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) werde zur Bedingung für den Abschluss von Versorgungsverträgen gemacht. »Tariflich nicht gebundene Arbeitgeber sollen sich vielmehr den für sie günstigsten Haustarifvertrag in ihrer Region aussuchen können, nach dem sie ihre Beschäftigten bezahlen«, so Gewerkschafter Reischl. Die Niedriglöhne würden so zementiert statt überwunden.
Nötig sei stattdessen die uneingeschränkte Anerkennung von in der Branche relevanten Flächentarifverträgen wie des TVöD, der in kommunalen Altenpflegeeinrichtungen gilt. Damit höhere Löhne nicht auf Kosten der Bewohnerinnen und Bewohner gehen, plädiert ver.di für die sofortige Deckelung der Eigenanteile und perspektivisch die Übernahme aller pflegebedingten Kosten durch die Pflegeversicherung.
Auch in Bezug auf die Überlastung des Pflegepersonals in Krankenhäusern ist keine Lösung in Sicht. »Mit der PPR 2.0 liegt seit Januar 2020 ein Instrument zur Personalbemessung in der Krankenhauspflege auf dem Tisch«, erläuterte Betriebsrätin Ingrid Greif. »Doch statt es nach 16 Monaten endlich in Kraft zu setzen, möchte Spahn die Beschäftigten weiter vertrösten, mindestens bis 2025. Das geht überhaupt nicht.« Sie verwies auf eine aktuelle Befragung, wonach fast jede dritte Pflegekraft in Intensivstationen, Notaufnahmen und Rettungsdiensten ihre Stelle in den kommenden zwölf Monaten aufgeben will.
»Bundesregierung und Arbeitgeber stehen in der Verantwortung, die Flucht aus den Pflegeberufen durch bessere Arbeitsbedingungen zu stoppen«, fordert Greif. »Die Beschäftigten zeigen der Gesundheitspolitik, die viel versprochen, aber keine Entlastung gebracht hat, zum Tag der Pflegenden die Rote Karte.«