Schräge Töne sind aus Limburg zu hören, wo sich eine Veganerin über das Glockenspiel mit dem Text des Kinderliedes „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ beschwert hat. Da verwundert es, dass sich noch niemand über die Melodien des Glockenspiels auf dem Münchner Rathausturm aufgeregt hat. Die Liedtexte reichen von der Verherrlichung von Kriegen bis hin zu Suizidgedanken. Sogar die Verehrung von Preußen klingt vom Turm.
Glosse von Robert Allmeier
„Sonst wird dich der Jäger holen, mit dem Schießgewehr“. Diese Textzeile aus dem Kinderlied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ war der Stein des Anstoßes für eine Veganerin, die in Hörweite des Glockenspiels am Rathaus von Limburg arbeitet. Mit einem Shitstorm haben Nutzer von sozialen Medien darauf reagiert, als Mitarbeiter der Stadtverwaltung die Melodie daraufhin erst einmal aus dem Programm genommen haben.
Da sollte man einmal genau betrachten, was eigentlich den Touristenmassen und Einheimischen um 11, 12 und 17 Uhr auf dem Marienplatz in München so alles zugemutet wird. Und siehe da, einige Texte aus den dargebotenen Liedern lassen Friedensaktivisten, anonymen Alkoholikern und FrauenrechtlerInnen die Haare zu Berge stehen.
Dabei muss vorausgeschickt werden: Glockenspiele singen nicht, sie läuten lediglich. Doch wie in Limburg beim „Jäger mit dem Schießgewehr“ hat man beim Hörgenuss auch in München sofort die dazugehörigen Texte in Kopf parat. So unter anderem beim Schäfflertanz die Zeile „Aber heit is koit“. Diese legendäre Leugnung des Klimawandels schallt permanent im Januar, Juni (sic!) und November vom Rathausturm.
Beim Bierwalzer dagegen im Mai und Oktober macht weniger der sinnfreie Text „La la la la! Hat sie! La la la la! Ist sie!“ die vereinzelten Zuhörer aus den Kreisen der anonymen Alkoholiker nervös. Vielmehr sind es die Bilder der wüsten Saufgelage im Bockbierkeller, die dabei vor ihrem geistigen Auge erscheinen.
Die bisher genannten sind aber nicht die musikalischen Kandidaten, die für immer aus dem Rathaus verbannt werden sollten. Aber was hat aber eigentlich der Hohenfriedberger Marsch in der Playlist zu suchen? Er gilt als Ruhmesmarsch der preußischen Armee und soll Gerüchten nach sogar vom „Alten Fritz“ komponiert worden sein. Das sollte jeden Bayern auf die Barrikaden treiben, der während des Glockenspiels auf dem Weg vom Weißwurstessen im Donisl zum Stehbier auf dem Viktualienmarkt ist. Und – als gäbe es kein einheimisches Liedgut – erklingt im März und August sogar noch die heimliche württembergische Landeshymne „Preisend mit vielen schönen Reden“.
Ganz krass wird es, wenn Kriege verherrlicht werden. Alle Türken werden im Mai und im Oktober von Prinz Eugen, dem edlen Ritter, verjagt. “ ’s war fürwahr ein schöner Tanz.“, wird in dem Volkslied die Einnahme der Stadt Belgrad im Jahr 1717 beschrieben. Im „Torgauer Marsch“ heißt dann es: „Stolz ziehen wir in die Schlacht und brechen in die feindlichen Reih´n ….. Fürs Vaterland mit frohem Mut gebt euer Blut“. Zu hören ist er auf dem Christkindlmarkt, unmittelbar bevor auf dem Rathausbalkon die friedliche Adventszeit besungen wird.
Auf Walze 6 des Glockenspiels im Dezember ist auch „In einem kühlen Grunde“ vertreten. Themen hier: Ein Seitensprung, abermals Kriegsgelüste und zum Schluss noch Suizidgedanken. Im März und August werden die Touristen auf dem Marienplatz von den 43 Glocken mit der Loreley beschallt – der düsteren Ballade von Verführung und Tod.
Wahrlich nicht leichte Kost, die dem Publikum dreimal täglich geboten wird. Da wird nicht nur wie in Limburg damit gedroht, eine Gans abzuknallen. Beim Münchner Glockenspiel geht es richtig zur Sache. Beschwert hat sich darüber noch niemand. Aber vielleicht sollten wir doch das eine oder andere martialische Liedgut austauschen. Dafür dann zum Beispiel „Backe, backe Kuchen“ ins Repertoire aufnehmen. Nein, geht auch nicht. Im Liedtext heißt es: „Wer will guten Kuchen backen, der muss haben sieben Sachen: Eier und Schmalz…“. Eier und Schmalz! Das könnte dann auch in München einen Veganer zu einem Beschwerdebrief an die Stadtverwaltung animieren.