Um eine echte Entscheidungshilfe für Fachleute und Politik zur Bewältigung der Coronakrise zu erhalten, will das Tropeninstitut am Klinikum der Uni München (LMU) am Sonntag mit einer repräsentativen Befragung von 3.000 Haushalten beginnen. Dabei geht es um die Verbreitung des Virus und um die Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen. Dabei werden die Personen in den ausgewählten Haushalten auch auf Corona getestet.
Das Tropeninstiutut der LMU startet am 5. April 2020 bei 3.000 Münchner Haushalten eine repräsentative Stichprobenanalyse zur Coronakrise. Wie auch alle anderen Menschen werden momentan die auch die Münchnerinnen und Münchner direkt oder indirekt mit den Folgen der COVID-19-Pandemie konfrontiert. Sie erleben, wie „Social Distancing“ oder „Selbst-Isolation“ ihren Alltag bestimmt, dass sie im öffentlichen Raum Abstand voneinander halten und Verwandte oder Freunde nur noch virtuell treffen sollen. Dies tun sie, um sich und andere vor der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus zu schützen und die medizinische Versorgung insbesondere der am schwersten betroffenen Patientinnen und Patienten sicherzustellen.
Doch wie stark wird uns die COVID-19-Pandemie weiter in Atem halten und wie steht es um die Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen? Expertinnen und Experten fordern die Bereitstellung besse-rer Daten, um dies bewerten zu können. Das Tropeninstitut am LMU Klinikum München (Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin) hat diese Notwendigkeit schon früh erkannt und zusammen mit der Bayerischen Staatsregierung das Projekt „Prospektive COVID-19 Kohorte München“ (kurz KoCo19) vorbereitet. Geplant ist, im Raum München bis zu 3.000 repräsentativ ausgewählte Haushalte in verschiedenen Zeitabständen zu besuchen, bei den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern den Infektionsstatus zu untersuchen und weitere Gesundheitsinformationen zu sammeln.
Wie wirksam aktuelle Maßnahmen (zum Beispiel der Verzicht auf soziale Kontakte oder Mobilitätseinschränkungen) sind, kann mit Hilfe dieser Studie besser beurteilt werden. Eine Studie mit zufällig ausgewählten Haushalten ist der Goldstandard solcher epidemiologischen Untersuchungen. Dies ist natürlich nicht für ganz Deutschland oder Bayern möglich. Die generierten Daten sollen jedoch weiterhin zum Einsatz kommen, um einfachere Methoden wie Querschnittsuntersuchungen oder Untersuchungen bei Blutspendern zu „eichen“, und dann für ganz Bayern verfügbar zu machen.
Von Antikörpertests zu Tagebüchern
Um solche Voraussagen treffen zu können, werden in die Studie Menschen aller Altersgruppen aus der Münchner Gesamtbevölkerung einbezogen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wählen 3.000 Münchner Haushalte per Zufallsstichprobe aus und laden diese zur Studienteilnahme ein. Alle über 14-jährigen Haushaltsmitglieder werden im persönlichen Interview befragt und um eine Blutprobe zur Bestimmung von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 gebeten. Bei aktuellen Symptomen kann auch ein Rachenabstrich durchgeführt werden. Zudem kann jedes Haushaltsmitglied auf freiwilliger Basis ein Symptom-, Aufenthalts- und Kontakttagebuch per App führen.
Dies soll über einen Zeitraum von etwa zwölf Monaten mehrfach wiederholt werden. Sollten zwischen den Besuchen bei den Haushaltsmitgliedern SARS-CoV-2 typische Symptome auftreten, besteht die Möglichkeit, auch zwischen den festgelegten Terminen am Tropeninstitut des LMU Klinikums München einen Nasenrachenabstrich durchführen zu lassen. Aus diesem kann ein molekularer Nachweis einer akuten Coronavirus-Infektion durchgeführt werden. Bei schweren Symptomen erfolgt eine Einweisung in ein Münchner Krankenhaus.
Start der Studie ist am 5. April 2020
Ab Sonntag 5. April 2020 werden die ersten medizinischen Teams der Studie in verschiedenen Münchner Stadtteilen unterwegs sein. Sogar in Polizeibegleitung, denn viele Bürger sind wegen Trickbetrügern verunsichert. Die Beamten können dann den beteiligten Bürgern bestätigen, dass die Befragung seine Ordnung hat. Die Mercedes Benz Niederlassung München stellt Fahrzeuge für die Befragung zur Verfügung.
Prof. Michael Hölscher, Direktor des Tropeninstituts am LMU Klinikum München, ruft Münchnerinnen und Münchner zur Teilnahme auf: „Um der Pandemie intelligent begegnen zu können, müssen wir die Ausbreitung von SARS-CoV-2 genau verstehen und abschätzen können, wie viele Menschen die Infektion schon erfolgreich überstanden haben. Dies wird in den nächsten Monaten einer der wichtigsten Parameter für die Steuerung der Maßnahmen zum ‚Social Distancing’ sein. Repräsentative Stichproben sind hierfür ein gutes Instrument.“
Das Projekt wird vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, dem LMU Klinikum und dem Helmholtz Zentrum München finanziert. Die Ergebnisse der Studie werden regelmäßig in einem Beratungsgremium, bestehend aus dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, dem Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München, der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Helmholtz Zentrum München diskutiert.
Was sind die Vorteile einer Teilnahme an der Studie?
Wenn Sie während der Studienteilnahme Symptome vereinbar mit einer SARS-CoV-2 Infektion entwickeln, haben Sie die Möglichkeit, am Tropeninstitut, LMU Klinikum München, eine Testung per Nasenrachenabstrich machen zu lassen. Im Falle einer akuten Infektion mit dem neuartigen Coronavirus werden Sie umgehend informiert und bei schweren Symptomen erfolgt eine Einweisung in ein Münchner Krankenhaus.
Durch die in der Studie durchgeführten Untersuchungen erfahren Sie, ob Sie bereits (möglicherweise unerkannt) mit SARS-CoV-2 infiziert waren und Antikörper dagegen entwickelt haben. Im Verlauf ist auch die zusätzliche Testung dieser Antikörper geplant, um die eventuell damit einhergehende Schutzwirkung besser einschätzen zu können.
Durch Ihre Teilnahme können Sie einen aktiven Beitrag zur Bekämpfung dieser Pandemie leisten. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse tragen dazu bei die “Social Distancing” Maßnahmen so zu steuern, dass wir unsere Krankenhäuser nicht überlasten und gleichzeitig aber auch das soziale Leben nicht über die Maße einschränken.
Wer kann teilnehmen und wie läuft die Studie ab?
Egal, ob Sie nachweislich mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) infiziert sind oder nicht: In beiden Fällen kommen Sie als Studienteilnehmer in Frage. In der Studie wird auch untersucht, wie viele Personen überhaupt nicht bemerkt hatten, dass sie mit dem Virus infiziert waren.
Für die Studie werden zufällig bestimmte und repräsentative Teilnehmer (Kohorte) aller Altersgruppen aus der Münchner Gesamtbevölkerung ausgewählt. Dies erfolgt nach dem so genannten Random Route Verfahren. Hierzu wurden 100 der 755 Münchner Stimmbezirke zufällig ausgewählt. Ausgehend vom geographischen Mittelpunkt dieser 100 Stimmbezirke gehen die Studienteams eine vorab nach einem Algorithmus festgelegte Route, entlang derer sie 30 Haushalte einschließen.
Falls Ihr Haushalt ausgewählt wird, kommt ein mobiles Studienteam persönlich bei Ihnen vorbei und stellt Flyer und Informationsmaterialien zur Verfügung. Sie können bequem bei sich zu Hause entscheiden, ob Sie teilnehmen möchten oder nicht. Wenn Sie Fragen haben, können Sie diese direkt mit dem Team vor Ort besprechen. Am Tag der Flyer-Verteilung können die ausgewählten Haushalte den Studienteams eine Telefonnummer hinterlassen, damit sie in den darauffolgenden Tagen vor dem geplanten Testtermin informiert werden können. Die Telefonnummer wird nicht an Dritte herausgegeben, sondern vertraulich behandelt.
Wenn Sie sich für eine Teilnahme entschieden haben, haben in Ihrem Haushalt alle über 14-jährigen Haushaltsmitglieder die Möglichkeit, im persönlichen Interview befragt zu werden und eine Blutprobe zur Bestimmung von SARS-CoV-2 Antikörpern zu geben. Dies soll über einen Zeitraum von ca. 12 Monaten mehrfach wiederholt werden. Jedes Haushaltsmitglied (inklusive möglicher Kinder, ausgefüllt durch die Erwachsenen) wird um die Führung eines Symptom-, Aufenthalts- und Kontakttagebuchs per App gebeten.
Die Teilnahme an der Studie ist freiwillig. Sie können Ihre jeweilige Einwilligung jederzeit ohne Angabe von Gründen schriftlich oder mündlich widerrufen, ohne dass Ihnen daraus ein Nachteil entsteht.