Papst lehnt Rücktritt von Kardinal Marx ab – Der Erzbischof reagiert enttäuscht

Kardinal Reinhard Marx hat Papst Franziskus gebeten, seinen Verzicht auf das Amt des Erzbischofs von München und Freising anzunehmen. Er wolle Mitverantwortung für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche übernehmen. Die katholische Kirche sei an einem „toten Punkt“ angekommen, erklärte er. Der Papst hat das Rücktrittsgesuch des Erzbischofs aber abgelehnt. Er regiert enttäuscht und fügt sich dem Willen.

Portrait Kardinal Reinhard Marx
Portrait Kardinal Reinhard Marx, Quelle Foto: Erzbischöfliches Ordinariat München (EOM) / Lennart Preiss

(Update 10.6.2021) Papst Franziskus hat auf das Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx reagiert und ihn abgelehnt. Der Erzbischof von München und Freising reagiert enttäuscht: „Seine Entscheidung, dass ich meinen Dienst als weiter fortführen soll, habe ich so nicht erwartet.“ Er akzeptiere aber die päpstliche Entscheidung, wie er es ihm versprochen hatte. Marx macht aber deutlich: „Wieder zur Tagesordnung überzugehen, kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein.“ 

Das bedeute für Marx und die gemeinsame Arbeit im Erzbistum München und Freising aber auch, zu überlegen, welche neuen Wege angesichts einer Geschichte des vielfältigen Versagens beim Umgang mit dem sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche zu gehen sind. Der Erzbischof werde in den nächsten Wochen darüber nachdenken, wie man gemeinsam noch mehr zur Erneuerung der Kirche hier im Erzbistum und insgesamt beitragen könne. Der Papst habe vieles aufgegriffen, was er in seinem Brief benannt habe. „Es bleibt dabei, was ich auch in meiner Erklärung unterstrichen habe: Dass ich persönlich Verantwortung tragen muss und auch eine ‚institutionelle Verantwortung‘ habe, gerade angesichts der Betroffenen, deren Perspektive noch stärker einbezogen werden muss.“, so beschließt Kardinal Marx seine Reaktion auf die Entscheidung des Papstes. 

In einem ausführlichen Brief hat der Papst verhältnismäßig schnell auf das Rücktrittsersuchen des Münchner Geistlichen reagiert. Der Pontifex gibt Marx in seiner Einschätzung recht: „Die gesamte Kirche ist in der Krise wegen des Missbrauchs; ja mehr noch, die Kirche kann jetzt keinen Schritt nach vorn tun, ohne diese Krise anzunehmen. Die Vogel-Strauß-Politik hilft nicht weiter. Ich stimme Dir zu, dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben: Der traurigen Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Weise, wie die Kirche damit bis vor Kurzem umgegangen ist. Sich der Heuchelei in der Art, den Glauben zu leben, bewusst zu werden, ist eine Gnade und ein erster Schritt, den wir gehen müssen. Wir müssen für die Geschichte Verantwortung übernehmen, sowohl als einzelner als auch in Gemeinschaft. Angesichts dieses Verbrechens können wir nicht gleichgültig bleiben. Das anzunehmen bedeutet, sich der Krise auszusetzen.“

Man verlange von der katholischen Kirche eine Reform, die nicht nur aus Worten bestehe, sondern in Verhaltensweisen, so der Papst weiter und er fordert ihn auf: „Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising.“


(Erstmeldung 4.6.2021) In einem Schreiben vom 21. Mai 2021 an Papst Franziskus hat Kardinal Reinhard Marx seinen Rücktritt aus dem Amt des Erzbischofs von München und Freising angeboten. Hier Auszüge aus seiner Begründung:

„Im Kern geht es für mich darum, Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten“. Die Untersuchungen und Gutachten der zurückliegenden zehn Jahre zeigten für ihn durchgängig, dass es „viel persönliches Versagen und administrative Fehler“ gegeben habe, aber „eben auch institutionelles oder systemisches Versagen“.  Die Diskussionen der letzten Zeit hätten gezeigt, „dass manche in der Kirche gerade dieses Element der Mitverantwortung und damit auch Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen und deshalb jedem Reform- und Erneuerungsdialog im Zusammenhang mit der Missbrauchskrise  ablehnend gegenüberstehen“. Dieser Haltung erteilte Marx eine klare Absage.

Die katholische Kirche sei an einem „toten Punkt“ angekommen. Mit seinem Amtsverzicht könne vielleicht ein persönliches Zeichen gesetzt werden für neue Anfänge, für einen neuen Aufbruch der Kirche. „Ich will zeigen, dass nicht das Amt im Vordergrund steht, sondern der Auftrag des Evangeliums.“

In seiner persönlichen Erklärung teilte Marx mit, er habe in den vergangenen Monaten immer wieder über einen Amtsverzicht nachgedacht. „Ereignisse und Diskussionen der letzten Wochen spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle.“ Seine Bitte um Annahme des Amtsverzichts sei eine ganz persönliche Entscheidung. „Ich möchte damit deutlich machen: Ich bin bereit, persönlich Verantwortung zu tragen, nicht nur für eigene Fehler, sondern für die Institution Kirche, die ich seit Jahrzehnten mitgestalte und mitpräge.“  

Erst kürzlich hatten Kirchenrechtler Marx vorgeworfen, in der Vergangenheit in den 2000er-Jahren als Bischof im Bistum Trier beim Umgang mit Missbrauch seine Pflichten verletzt zu haben. Hintergrund war der Missbrauch an Minderjährigen eines Pfarrers. Nachdem die Taten bekannt geworden waren, habe er keine kircheninterne Untersuchung eingeleitet, werfen ihm die Kirchenrechtler vor. Der Täter hatte die Missbrauchsvorwürfe bei den Ermittlungsbehörden bestätigt. Er habe auch den Betroffenen keine Hilfe angeboten, so Bernhard Anuth von der Universität Tübingen und Thomas Schüller von der Universität Münster. Marx habe auch nicht verhindert, dass der Pfarrer weiterhin Kontakt zu Kindern gehabt habe. Wegen der unklaren Lage hatte Marx daraufhin verzichtet, das Bundesverdienstkreuz anzunehmen. 

Dem Erzbistum München liegt ein Gutachten zu Missbrauchsfällen in Bayern vor, das allerdings noch nicht veröffentlicht worden ist. Die erste Fassung ist bereits elf Jahre alt. Im Sommer dieses Jahres soll die Veröffentlichung des Berichts angeblich nachgeholt werden. Die Frage wird nun aufgeworfen, ob sich Marx mit seinem Schritt noch rechtzeitig aus der Schusslinie bringen will.