3.000 Demonstranten statt der 80 genehmigten waren am Samstag zu einer sogenannten Hygiene-Demo auf den Marienplatz in München gekommen. Dabei wurden die Abstandsregeln weitgehend ignoriert. Die Polizei hatte auf eine Auflösung der Demo verzichtet und verteidigt ihre Strategie. Die infektionsschutzrechtlichen Gefahren wären bei einer Räumung wesentlich größer gewesen. Ein Zulauf von diesem Ausmaß zu der Veranstaltung sei nicht vorauszusehen gewesen. Oberbürgermeister Dieter Reiter wirft den Demonstranten vor, die positive Entwicklung des Infektionsgeschehens zu konterkarieren und weitere Lockerungen dadurch zu gefährden. Eine ungenehmigte Paralleldemo von Neonazis am Samstag am Fischbrunnen hatte die Polizei aufgelöst.
3.000 Menschen hatten sich am Samstag auf dem Marienplatz versammelt. Die Anliegen der Demonstranten waren vielfältig. Es ging gegen staatliche Maßnahmen zur Coronapandemie ebenso wie gegen eine nicht vorhandene Impfpflicht eines nicht vorhandenen Impfstoffes gegen das Coronavirus bis hin zum Protest auf der Grundlage verschiedener Verschwörungstheorien. Die Versammlung war vom Kreisverwaltungsreferat München mit den Auflagen genehmigt worden: Höchstens 80 Teilnehmer und Mindestabstand zwischen den Demonstranten.
Das funktionierte anfangs auch sehr gut. Dann lief aber alles aus dem Ruder. Außerhalb der Demonstrationsfläche schlossen sich in kurzer Zeit viele weitere Personen der Versammlung an. Am Ende waren es nach Polizeiangaben 3.000. „Sie äußerten sich sehr emotional zur Corona-Thematik“, so Polizeisprecherin Nicole Hechinger-Weber. „Von unserer Seite aus wurde mit kommunikativen Mitteln, insbesondere durch den Einsatz von Lautsprecherdurchsagen und Kommunikationsbeamten, versucht, auf die Menschenmenge einzuwirken, um zumindest die Mindestabstände zu wahren. Dies blieb jedoch ohne Erfolg.“
Auf eine Räumung des Marienplatzes verzichtete die Polizei. Dazu war am Samstag auf Twitter in einer ersten Stellungnahme zu lesen: „Aus Verhältnismäßigkeitsgründen entschloss sich der Einsatzleiter gegen eine Räumung der emotionalen aber an sich friedlichen Versammlung.“ Das Verhalten der Polizei löste in den sozialen Medien heftige Reaktionen aus. Der Tenor der Kritik war Unverständnis, warum sich die Bevölkerung in Bayern allgemein an die Coronaregeln halten muss, die Demonstranten hingegen nicht.
Reaktionen auf Twitter eindeutig
„Dann kann ich ja eine friedlich verlaufende Gartenparty heute Abend bei mir im Garten mit ca. 25 Leuten ohne Probleme durchziehen, oder geht das nicht?“, fragt Jürgen Entholzner. FloBru4 schreibt: „Das fehlende Eingreifen der Polizei ist ein Schlag ins Gesicht der hunderttausenden Münchner die seit Monaten Rücksichtnahme und Verzicht üben und sich an alle Regeln gehalten haben. Ich bin ehrlich gesagt erschüttert.“ KerstinB kritisiert, das hier Leute ihr Recht auf Demonstration über die Gesundheit anderer gestellt hätten. „Das nenne ich nicht Demokratie sondern puren Egoismus!“ Hunderte weitere Reaktionen schlagen in die selbe Kerbe.
Auch aus der Politik gab es einige Reaktionen auf Twitter. Florian Roth, Vorsitzender der Grünen im Stadtrat in München, twitterte beispielsweise: „Sie wissen, dass Sie in der Konsequenz Menschenleben gefährden? Und das nennen Sie ‚Verhältnismäßigkeit'“? Noch deutlicher wurde Martin Hagen, Fraktionschef der FDP im Bayerischen Landtag: „Allein in München haben heute 3000 Demonstranten dichtgedrängt und ohne Mundschutz alles dafür getan, dass es bald wieder schärfere Anti-#Corona-Maßnahmen gibt. Danke für nichts, ihr Vollpfosten.“
OB Dieter Reiter: Weitere Lockerungen eher gefährdet als ermöglicht
Oberbürgermeister Dieter Reiter reagiert am Sonntag auf Facebook ebenfalls scharf auf den Massenauflauf während der Pandemie am Samstag auf dem Marienplatz. „Grundsätzlich habe ich Verständnis dafür, dass die Menschen sich durch die getroffenen Maßnahmen in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt fühlen und baldmöglichst wieder zu einer gewissen Normalität zurückkehren möchten. Gar kein Verständnis habe ich für Aktionen oder Demonstrationen, die durch fehlende Distanz und Mund/Nasenschutz jede positive Entwicklung des Infektionsgeschehens konterkarieren und weitere Lockerungen eher gefährden als ermöglichen.“ Reiter verbindet das mit einer Botschaft an die Münchner Bevölkerung: „Bleiben Sie bitte auch weiterhin gelassen, halten Sie sich an die leider noch notwendigen Vorgaben und helfen sie dadurch mit, dass wir alle zusammen gesund durch diese Krise kommen. Vielen Dank dafür.“ In über 200 Kommentaren stimmen andere User überwiegend den Argumenten von Reiter zu.
Polizei: Höheres Infektionsrisiko bei Räumung der Veranstaltung
Gegenüber dem Stadtmagazin München 24 hat Polizeisprecher Werner Kraus am Sonntag auf die anhaltende Kritik Stellung genommen. „Die infektionsschutzrechtlichen Gefahren wären bei einer Auflösung der Versammlung und dann notwendigen Räumung des Marienplatzes definitiv größer gewesen. Sowohl für die betreffenden Versammlungsteilnehmer als auch für die Polizei. Hier wären Menschen weg- beziehungsweise zusammengeschoben worden, die sich mit Sicherheit dagegen auch gewehrt hätten. Eine solche Aktion bei 3.000 Menschen, die sich trotz aller Emotion, friedlich verhalten und im Kontext zu einer genehmigten Versammlung stehen, wäre in diesem Fall komplett unverhältmäßig gewesen.“, so Kraus vom Polizeipräsidium München. Zu der Frage, warum sich so viele Menschen an einer Demo beteiligen konnten, die nur für 80 Personen erlaubt war, erklärt Kraus: „Ein Zulauf bei dieser genehmigten Versammlung von solch großem Ausmaß war für die polizeilichen Einsatzkräfte nicht vorauszusehen.“
Die Initiatorin und Anmelderin der Demo, Petra Kotthoff, reagiert in Facebook übrigens lediglich mit glücklichem Smilie und dem Kommentar „Wir waren viele und wir waren laut!“. Über die Kritik zu dem Auflauf auf dem Marienplatz wird kein Wort verloren. Auf der Facebook-Seite postet die Autorin von Yoga-Büchern unter anderem Videos von Polizeieinsätzen gegen Corona-Kritiker mit Kommentaren wie „Der Polizeistaat schlägt zu“. In einer Reaktion auf einen Kommentar schreibt sie am Samstag „Schon gehört: die Epidemie ist zu ENDE! Aber bald kommt die Impfung, da kann sich jeder gerne impfen lassen, damit er nicht von seinen asozialen Mitbürgern angesteckt wird!“
Demo von Neonazis am Fischbrunnen aufgelöst
Am Rande der großen Demo hatte es vor dem Fischbrunnen am Samstag gegen 14.30 Uhr eine nicht genehmigte Demonstration von Personen aus dem rechtsextremen Spektrum gegeben. Der Personenkreis wurde daraufhin von der Polizei umstellt und die Teilnehmer einzeln zur Durchführung der erforderlichen polizeilichen Maßnahmen von der Örtlichkeit weggebracht. Insgesamt wurde in diesem
Zusammenhang bei 36 Personen die Identität festgestellt. Hier wird nun wegen versammlungsrechtlicher Verstöße und auch nach dem Infektionsschutzgesetz ermittelt.
Insgesamt kam es am Samstag auf dem Marienplatz zu sieben Festnahmen wegen Delikten wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie Beleidigung und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.